Einsame Spuren und störrische Fische

Das Team von Bon Appétit Ski flüchtet vor dem Frühling ins Yukon-Territorium

von Franck Bernes-Heuga

Anfang April neigt sich der Winter 2017 in den Alpen dem Ende entgegen – die letzten heftigen Schneefälle sind vom Winde verweht. „Das kann es noch nicht gewesen sein“, sagen wir uns und kehren Chamonix und den Alpen vorerst den Rücken. Das Ziel von Fabien Maierhofer, Victor Galuchot, Enak Gavaggio, unserer Filmcrew und mir ist der nordwestliche Teil Kanadas. Genauer: das Yukon-Territorium.
Nach der Landung in White Horse wartet Claude Vallier auf uns. Er stammt aus Grand-Bornand in der Nähe von Chamonix und war früher Mitglied der Hochgebirgs-Polizei am Mont Blanc. Irgendwann zog es ihn in die ursprüngliche Bergwelt Kanadas. Inzwischen ist er ein echter Yukon-Experte und bietet Touren in der Wildnis Nordamerikas an. Diesmal bringt er uns Tiefschnee entwöhnte Freerider aus Europa ans Tor zu Alaska.

Extremer Kontrast

Der Kontrast zur Zivilisation ist extrem, wir brettern an Bord eines gigantischen Geländewagens mit zwei 80-Liter-Tanks 300 Kilometer über eine kerzengerade Piste. Die Gebiete, durch die wir uns bewegen, gehören Indianerstämmen. Einige Parzellen der Tausende Hektar großen Fläche sind an Fallensteller verpachtet, die in der Wildnis auf die Jagd gehen. Alleine ist man hier als Fremder verloren. Claude stellt uns Lance vor, einen dieser Fallensteller, der uns mitten in sein Gebiet führt und uns mit einer neuen Art des Skifahrens vertraut macht.
Wir verbringen die nächsten Tage ohne Verbindung zur Außenwelt. Nach zwei Stunden Motorschlittenfahrt erreichen wir die Jagdhütte. Die Kulisse ist grandios. Kleine Täler inmitten von bis zu 2500 Meter hohen Bergen so weit das Auge reicht. In der Ferne ragen knapp 4000 Meter mächtige Gipfel empor. Der höchste Berg dieses Massivs, das als amerikanische Kordillere bezeichnet wird, ist der Mount Logan mit 5959 Meter.

Echte Pioniere

Wir sind im Begriff, Berge zu erkunden und Hänge zu befahren, die noch nie zuvor ein Skifahrer gesehen hat. Es ist ein unglaubliches Gefühl, als Erster diese Ehre zu haben. Mit zwei Motorschlitten können wir aus dem Tal bis zu den Hängen fahren, die wir uns von unten ausgeguckt haben. Für den Rest sorgen die Steigfelle und unsere Muskelkraft.
Jetzt brauchen wir nur noch gutes Wetter. In den vergangenen drei Wochen jagte ein Tief das nächste. Unser Abenteuer beginnt bei strahlendem Sonnenschein. Wir beginnen mit dem Aufstieg auf einen Gipfel, der uns sofort ins Auge gestochen ist. Nach 1,5 Stunden sind wir oben und genießen eine unglaubliche Aussicht auf die Bergkette, die kein Ende zu haben scheint.
Allein, allein ...
Wir sind völlig allein, andere Menschen gibt es hier nicht, erst recht keine Skifahrer. Wir betreten eine neue Dimension. Alles ist angerichtet, doch die erste Abfahrt wird für mich zur Qual. Vor lauter Begeisterung für die unglaubliche Landschaft macht sich einer meiner Ski selbstständig, als ich in die Bindung steigen will. Er kommt 500 Meter weiter unten zum Stehen. Die ersten Schwünge muss ich mich einbeinig in Richtung Tal arbeiten. Egal – es geht. Meine Kumpels haben richtig Spaß. Kein Wunder – bei 30 Zentimeter frischem Yukon-Schnee auf einer stabilen Unterlage – perfekt.
Wir haben einen ersten Vorgeschmack auf das bekommen, was uns die nächsten Tage erwartet, wenn wir die ersten echten Skitage in Angriff nehmen. Die „Yukon Time“, wie die Einheimischen sie nennen, kommt uns dabei sehr gelegen. Wir sind im Frühling, die Tage werden länger und die Sonne scheint nie untergehen zu wollen. Ohne es überhaupt zu bemerken, erreichen wir das Basislager erst gegen 20 Uhr. Die Nacht wird unterbrochen durch die Polarlichter, den Besuch einiger Wölfe und die Vorfreude auf das, was da noch kommen wird.

Lange Tage, kurze Nächte

Es ist schlicht traumhaft. Perfekter Schnee, gutes Wetter und wunderbare Hänge in der unendlichen Weite. Trotz langer Skitage kann man sich bei der Ankunft im Basislager nicht gemütlich zurücklehnen. Bäume müssen gefällt werden, um das Feuer am Brennen zu halten, Schnee muss geschmolzen werden, damit genug zu trinken da ist, und Fische gefangen werden, damit wir etwas zum Beißen haben. Allerdings sind wir Amateure in Sachen Survival-Abenteuer und haben vorgesorgt. Im Anhänger des Motorschlittens lagern noch einige Konservenbüchsen und ein paar Dosen Bier.
Nach vier perfekten Tagen verschlechtert sich das Wetter rapide. An Skitouren ist nicht mehr zu denken, also suchen wir nach einer anderen Aufgabe – und entscheiden uns für die Goldsuche. Das Goldfieber ist einer der Hauptgründe dafür, dass europäische Einwanderer aus dem Süden sich in den 1890er Jahren in diese unwirtliche Gegend gewagt haben. Doch die Ressourcen scheinen erschöpft, unsere Goldgräberstimmung hält nicht lange an. Also vertreiben wir uns die Zeit mit Iglu-Bauen, um etwas mehr Platz in unserer Hütte zu schaffen.

Die Fische spielen nicht mit

Die Tage vergehen und ähneln einander – unterbrochen von den kleinen Zeitfenstern, in denen der Nebel sich verzieht und die es uns erlauben, uns an die Hänge der Umgebung zu wagen. Gleichzeitig arbeiten wir hoch motiviert aber vergeblich an unseren Angel-Künsten. Der Vorrat an Nahrungsmitteln schrumpft in Lichtgeschwindigkeit. So hart es ist, nach etwas mehr als einer Woche in diesem rauen Paradies ist es an der Zeit, unsere Sachen zu packen und in die Zivilisation zurückzukehren.
Auf der zweistündigen Rückfahrt mit dem Motorschlitten fliegen die Bilder der letzten Tage noch mal an uns vorbei. Schließlich erreichen wir den berühmten Heliski-Spot von Haines und damit die Zivilisation.
Die Erinnerungen werden uns noch lange begleiten – an die Abfahrten, an die Erlebnisse in der Abgeschiedenheit des Yukon. Die Wildnis war eine Entziehungskur in einer Zeit der exzessiven Kommunikation und des Wettlaufs um Informationen. Das wird mir umso mehr bewusst, nachdem sich die mobilen Plagegeister wieder in die Datennetze einwählen und wir sofort anfangen, wie wild Bilder zu posten und Nachrichten zu verschicken. Doch das hat auch sein Gutes. Schließlich wollen wir diesen unvergesslichen Trip mit Gleichgesinnten teilen.

Infos

Zum Youtube-Kanal von Bon Appétit Ski geht es hier: www.youtube.com/bonappetitski

 

Der Autor

Franck Bernes-Heuga ist Chef von Zag Ski in Chamonix. Der 39-Jährige stammt ursprünglich aus den Pyrenäen und startete zunächst eine Karriere als alpiner Skirennläufer. Dann wechselte er zum Freestyle und wurde schließlich ein international erfolgreicher Freerider. An Wettbewerben nimmt er nicht mehr teil, ist aber so oft es geht in den Bergen dieser Welt auf Ski unterwegs.

Bon Appétit Ski

Bon Appétit von Fabien Maierhofer ist die erfolgreichste französische Webserie im Freeski-Bereich und neben beeindruckenden Ski-Szenen auch für ihren Witz bekannt.
www.bonappetitski.com

 

Skitouren im Yukon

Claude Vallier bietet mit seiner Firma Yukon Backcountry Skiing Skitouren-Abenteuer im Yukon an. Infos und Buchung unter
www.yukonbackcountryskiing.com