Magische Nacht in der Gletscherspalte

Jens Becker erkundet Spitzbergen und das ewige Eis

von Saskia Drechsel

Spitzbergen, eine norwegische Insel im Arktischen Ozean. Eine Insel, auf die kaum jemand je einen Fuß setzt, warum auch, dort oben im ewigen Eis steht man vor dem wahren Nichts. Jens Becker machte sich dennoch auf die Suche nach Abenteuern auf Spitzbergen.

Von Oslo aus geht es nach Longyearbyen, die Hauptstadt der Insel, genauer gesagt die einzige Siedlung, die man mit gutem Gewissen als Stadt bezeichnen kann. Schon der Anflug ist etwas ganz besonderes: Von der Luft aus wird eine wunderbare Schneelandschaft sichtbar, fast unberührt von Menschen stechen lediglich die wenigen Häuser von Longyearbyen hervor. Rund 2.000 der 2.500 Einwohner Spitzbergens leben hier. Die meisten Bewohner hält es nur wenige Jahre auf der Insel, viele sind Forscher oder Studenten, die ein Forschungssemester absolvieren. Wer ein Leben lang auf Spitzbergen verbracht hat ist schon eine kleine Berühmtheit und ein Fall für das Svalbard Museum. Dort sind Persönlichkeiten ausgestellt, die auf Spitzbergen geboren und auch gestorben sind. Jens Becker hat das Glück, einen Freund besuchen zu können, der gerade an seiner Masterarbeit über eine Gletscherspalte schreibt. Deswegen bekommt er die Möglichkeit im dortigen Studentenwohnheim zu übernachten. Das Wohnheim ist eigentlich eine ehemalige Kohlebaracke, in Spitzbergen wurde einst schließlich eine Menge Kohle abgebaut. „Auf Spitzbergen stehen eigentlich nur einfach Blechbauten. Das ist schon erstaunlich, gerade weil sie nicht einmal stark gedämmt sind“, berichtet Becker.

Lawinenpiepser und Gewehr als ständige Begleiter

Erste Erkundungen gehen mitten in einen alten Kohlestollen. Doch selbst für kleinere Exkursionen auf der Insel ist eine akribische Vorbereitung notwendig. Vor dem Aufbruch ist es wichtig, sich in ein Logbuch einzutragen. „Wohin man geht, mit wem und wann man zurück ist, damit ansonsten Suchaktionen eingeleitet werden können. Da spürt man schon, dass die Gefahr da ist“, sagt Becker. Weil auf der schneereichen Insel die Lawinengefahr hoch ist, sollte man außerdem immer einen Lawinenpipser und eine Schaufel mit dabei haben. Zu guter Letzt darf auch das Gewehr nicht fehlen. Auf Spitzbergen leben mehr Eisbären als Menschen und auf einer dünnbesiedelten Insel ohne Bäume ist vor einem aggressiven Eisbären kein Entkommen. Die Bewohner verlassen ohne Gewehr nicht die Siedlung. Auch die Studenten können sich auf ein Gewehr bewerben, ein knappes Dutzend wird pro Semester heraus gegeben. „Jeder, der aus der Siedlung will muss sich von jemandem mit Gewehr begleiten lassen“, erzählt Jens Becker.

Die Abenteuerlust treibt die Studentengruppe um den 25-Jährigen trotzdem wieder hinaus in die schier unendliche Schneelandschaft. Das Ziel: Eine Schneehöhle zu bauen und darin zu übernachten. Also erneut der Eintrag ins Logbuch, Lawinenpiepser und Schaufel einpacken und auch das Gewehr darf natürlich nicht fehlen. Doch um eine Schneehöhle zu bauen, muss auch in der eisigen Schneelandschaft Spitzbergens der richtige Ort gefunden werden. Lawinensicher mit mindestens drei Metern Schneehöhe. „Dann haben wir drauflos gegraben. Aber mit dem Wind und bei minus fünfundzwanzig Grad waren wir schnell durchgefroren. In der Höhle hatte es zwar dann angenehme null Grad, aber das mit dem Übernachten haben wir lieber gelassen“, erzählt Becker.

Fasziniert berichtet der Student auch vom Leben auf Spitzbergen. In der einzigen Stadt Longyearbyen gibt es gerade einmal einen Supermarkt, einen Frisör oder ein Schwimmbad, das nur an den Wochenenden geöffnet hat. „Man musste sich nicht groß entschieden, Auswahl gibt es sowieso nicht.“ Reichlich vorhanden sind lediglich Reparaturwerkstätten für Schneemobile. Diese zählen, gemeinsam mit Schlittenhunden, zu den meistgenutzten Fortbewegungsmitteln auf Spitzbergen. Wer mag es den Einwohnern verdenken, befestigte Straßen sind eine Seltenheit. Auch bei den Lebensmitteln gibt es so manche Besonderheiten. Frische Ware wie Gemüse oder Milch: Fast unbezahlbar, schließlich muss Alles eigens auf die Insel geflogen werden. Dazu besondere Regeln: Vor dem Betreten eines öffentlichen Gebäudes müssen die Schuhe ausgezogen und das Gewehr abgelegt werden. 

Übernachten in der Gletscherspalte

Dann klappt endlich mit dem Übernachten im Eis und nicht nur das: Die kleine Studentengruppe um Jens Becker wagt sich sogar bis in eine Gletscherspalte vor. Der Masterarbeit über ebenjene Spalte sei Dank, der fleißige Student hat sie den Winter über frei von Schnee gehalten. Das Gepäck wird auf Schlitten verstaut und los geht die Expedition. Der Plan ist, auf einem Berg ein Feuer zu entfachen, Abendessen zu kochen und sich dann hinab in die Gletscherspalte zu wagen. Teil eins misslingt: Das Feuer will einfach nicht brennen, so sehr sich die Abenteurer auch bemühen. Zum Abendessen gibt es also in eiskaltem Wasser eingeweichte Nudeln und gefrorene Tomatensauce. Dann folgt der Abstieg in den Gletscher. Plötzlich wird es behaglich warm, bei minus fünf Grad sucht die Gruppe in völliger Dunkelheit einen guten Platz zum Übernachten. „Es war super beeindruckend. Wie ein Canyon aus Eis, überall waren Eiswände, einfach magisch“, sagt Becker. Der Blick aus dem wärmenden Schlafsack ist dann schon weniger behaglich: „Als ich mit der Stirnlampe nach oben geleuchtet habe, habe ich es schon mit der Angst zu tun bekommen und gehofft, das nichts runterbricht, aber alles sah so massiv aus.“