Atemberaubend - Mountainbiken in Portugal

Singletrails mit Hintergrund

Auf der Heimreise fühlt es sich irgendwie an wie ein Kater. Mein Kopf schwirrt, ich bin müde und melancholisch. In der vergangenen Woche durfte ich einige der schönsten Singletrails meines Lebens fahren. In meinem Kopf fügt sich noch immer eine Anliegerkurve an die nächste, steile Felsfahrten über rauen Granit wechseln ab mit fast schlammigen Passagen auf schwarzer Erde zwischen riesigen Farnen.

Der Duft von Eukalyptus

Immer noch habe ich den Duft des Eukalyptus in der Nase, da nimmt die Bilderschau in meinem Kopf Fahrt auf: Zwischen den mächtigen dunkelgrünen Bäumen tauchen märchenhafte, bunt verzierte Türme auf, da bimmelt eine altmodische, gelbe Trambahn und fährt gleich durch quirlige Stadtgassen voller Bars und Cafés. Dann rollen hohe Wellen im Atlantik an und bedecken den rötlichen Sandstrand mit weißem Schaum. Es wird wohl eine Weile dauern, bis ich all die Eindrücke dieser Reise verarbeitet habe. Denn in Portugal gab es weit mehr zu entdecken, als atemberaubend schöne, wilde, flüssige und unvergessliche Mountainbike-Strecken: Tiefblicke an der Steilküste der Algarve, Einblicke ins Leben der Einheimischen, die Kultur in Lissabon und Sintra und Ausblicke auf wilde, menschenleere Landschaften im Hinterland.
Es war ein Glück, dass ich im Jahr zuvor die Jungs von WE Ride kennengelernt hatte. Es sind aber keine Jungs, keine jungen Wilden. WE Ride ist ein Zusammenschluss von portugiesischen Mountainbikern, die sich allesamt kennen aus der Enduro-Szene, von Cross Country oder Downhillrennen und die alle selbst Singletrails bauen. Denn in den meisten Bergen gibt es kein Wegenetz abseits der Forstpisten. Sie alle lieben Fahrradfahren, aber stehen mit beiden Beinen im Leben: Hugo Oliveira zum Beispiel ist Sänger, Luis Pedro Lopes Santos ist Bauingenieur, andere sind Handwerker, Flugbegleiter oder Lehrer. Ihre Fahrten sind trotzdem filmreif und locken reichlich Kamerateams und Sponsoren an. Natürlich sind ihre weiten Sprünge, Tricks oder schnellen Downhills sehenswert – aber ihnen ist es wichtig, mehr zu zeigen: ihre geliebte Heimat, die Natur, urige Restaurants und das Leben der Bevölkerung.

Mit Substanz

Sie wollen Mountainbiken mit Hintergrund: Dabei sind grandiose Trails essenziell, aber eben auch Kultur und Landschaft unverzichtbar. Auch der Name ist nicht zufällig gewählt: Bei WE Ride soll es nicht primär ums Ego, das „Ich“ gehen, sondern um die Gemeinschaft, das „Wir“.
Bei unserem Roadtrip von der Algarve im Süden über Monchique nach Lissabon und Sintra hat das den Vorteil, dass wir an jedem neuen Ort einen weiteren Guide von WE Ride kennenlernen, der genau dort wohnt. Meist fahren wir sogar mit jemandem, der genau diese Wege selbst geschaufelt hat – oft auf dem Grundstück des Großvaters oder seiner Nachbarn.

Auf keiner Karte

Sie sind selbstverständlich auf keiner Karte zu finden. Viele Tage fühlen sich an, als ob wir von einem Abenteuerspielplatz zum nächsten fahren und uns jeweils der Hausmeister die coolsten Tricks zeigt. Im besten Falle landen wir dann abends noch im Restaurant des Cousins und werden mit traditionellen Speisen verwöhnt. Die Küche Portugals ist extrem vielseitig und fein: von Wildschwein über Thun-, Schwert- und Tintenfisch bis zu kleinen bunten Schnecken wird alles gekocht, natürlich auch Gemüse. Was am besten geschmeckt hat?
Das lässt sich so überhaupt nicht beantworten – schließlich ist doch alles dermaßen unterschiedlich. Typisch Portugal. Denn bei den Mountainbikestrecken ist es genauso: Die Tour an den roten Klippen der Algarve bei Faro war an Szenerie kaum zu überbieten, aber die Singletrails im einsamen Wald bei Fonte Ferrera waren so schön verspielt, die Strecken bei Monchique und Marmelete waren anspruchsvoll, lang und werden uns unvergessen bleiben, so wie die urbanen Strecken im Stadtpark von Lissabon und die abendliche Fahrt durch die Kneipenviertel. Am vielseitigsten ist der weitläufige, mächtige Wald bei den Schlössern und Palästen von Sintra, etwa 40 Kilometer nordwestlich von Lissabon. Dort haben wir vor allem die Strecken mit den hellen Granitblöcken geliebt, aber auch jene Waldwege mit dem schwarzen, weichen Boden. Was am besten ist? Am besten selbst ausprobieren!Verena Stitzinger