"Maultiere sind Mountainbikes sehr ähnlich"

Interview: Harald Philipp befährt Klettersteige mit dem Rad - und hat Höhenangst beim Klettern

von Steffen Müller

Wo sich andere gesichert mit Klettersteigset am Stahlseil entlanghangeln, fühlt sich Harald Philipp mit seinem Mountainbike so richtig wohl. Was manch einer als Wahnsinn betrachtet ist für den Wahl-Innsbrucker einfach eine etwas andere Disziplin des Bergsteigens.

Am 6. März kommt der 32-Jährige mit seinem Vortrag "Flow  Faszination Mountainbiken" in die Böblinger Kongresshalle. Abenteuer Alpen sprach mit dem gebürtigen Siegener über seine Projekte, den Reiz des Abgrundes und seine Höhenangst.

Können Sie den Begriff "Flow" für alle Nicht-Mountainbiker kurz erklären?

Harald Philipp: "Flow ist für mich ein Bewusstseinszustand, den man erreicht, wenn man völlig in einer Tätigkeit aufgeht  wie ein Kind, das im Sandkasten spielt und seine Umgebung nicht mehr wahrnimmt. Es ist ein Zustand, in dem man sehr gute Leistungen bringen kann, weil man absolut fokussiert ist. Die Hauptsache ist aber, dass es sich unheimlich gut anfühlt."

Diesen Zustand erreicht man, indem man eigentlich unfahrbare Wege mit dem Mountainbike bewältigt?

Harald Philipp: "Unter anderem, ja. Unabhängig von der Disziplin kommt es darauf an, dass eine Aufgabe für einen selbst gerade so zu bewältigen ist. Man darf nicht unter-, aber auch nicht überfordert sein. Die für die meisten Menschen unfahrbaren Wege sind mein ganz individueller Flow-Zugang. Jeder Mensch kann aber seine eigenen, natürlich auch ungefährlicheren, Flow-Erfahrungen machen. Flow ist ultimativ demokratisch und nicht nur Risikosportlern vorbehalten."

Sie befahren mit dem Mountainbike Strecken, die manch einer nicht mal auf allen vieren unfallfrei bewältigen könnte. Was erwidern Sie Menschen, die behaupten, dass das, was sie auf dem Rad anstellen, völlig verrückt ist?

Harald Philipp: "Es ist keineswegs verrückt. Ich mache seit 20 Jahren praktisch nichts anders, ich habe viel trainiert, beherrsche das Bike und die Technik. Es ist immer eine Frage des Standpunkts. Für einen Aborigine, der fernab der Zivilisation lebt, erscheint wahrscheinlich der hiesige Straßenverkehr völlig verrückt. Für uns ist es normal, wir gehen täglich damit um. So ist das bei mir mit dem Bike. Es hat sich während der Jahre zu etwas Unangestrengtem, Natürlichem entwickelt."

In einem früheren Interview haben Sie einmal gesagt, Sie hätten beim Klettern Höhenangst, nur auf dem Bike fühlten Sie sich sicher. Ein Witz?

Harald Philipp: "Nein, das meine ich ernst. Ich habe beim Radfahren weniger Angst als zu Fuß. Da bin ich eher tapsig, schaue sonstwo hin. Beim Radfahren bin ich dagegen voll fokussiert und somit auch sicherer unterwegs. Ich fühle mich auf meinem Bike definitiv wohler."

Gehen Sie schwierige Routen vorher ab?

Harald Philipp: "So gut wie nie. In der Regel bereite ich mich mit klassischen Landkarten vor. Für meine Projekte benötige ich Wege und die sind  zumindest in unseren Breiten  gut erfasst. Hier kann man schon sehen, was machbar ist und was eben nicht. Sehr hilfreich ist hier auch Google Earth. Die Auflösung wird immer besser und so kann ich mir von zu Hause anschauen, was mich erwartet. Grundsätzlich ist jeder Weg fahrbar, solange es kein extremer Klettersteig ist."

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Harald Philipp: "Ich plane im Sommer zwei Touren im Himalaya. Da ist es sogar so, dass ich über Google Earth Wege entdeckt habe, die auf keiner Karte eingezeichnet sind."

Welche Region hat Sie auf Ihren Reisen bisher besonders beeindruckt?

Harald Philipp: "Die Seealpen sind für mich immer wieder beeindruckend. Das Biken ist dort in meinen Augen das Beste überhaupt. Man bewegt sich zwischen 3000ern und dem Meer. Dazu kommt die tolle Wegekultur. Die ist übrigens entstanden, weil die Pfade für Maultiere angelegt wurden und die sind Mountainbikes in Bezug auf Größe und Wendigkeit offenbar sehr ähnlich. Ich habe mal einen Schäfer gefragt, warum die Wege so gut mit der Landschaft spielen. Er sagte mir, dass man sie so angelegt hat, damit sich die Maultiere nicht langweilen."

Ortswechsel: Macht Ihnen das Halten Ihres Vortrags im Land der Zwei-Meter-Regel eigentlich besonders viel Spaß?

Harald Philipp: "Ich halte meinen Vortrag überall gern. Allerdings ist die Zwei-Meter-Regel in Baden-Württemberg ein riesen Thema und ein Ärgernis. Sie generalisiert ein Problem ohne einen vernünftigen Zusammenhang. Ich behaupte, die Probleme zwischen Bikern und Wanderern auf breiten Wegen sind deutlich größer als die auf schmalen Trails. Grundsätzlich wäre es für alle Beteiligten hilfreicher, das Radfahren generell zu erlauben und nur in Ausnahmefällen Verbote zu erlassen, statt Mountainbiker generell in die Illegalität zu drängen."

Zwei-Meter-Regel hin oder her. Kann Mountainbiken dabei helfen, ein glücklicherer Mensch zu werden?

Harald Philipp: "Natürlich. Flow ist ein ganz individuelles Empfinden und beim Biken gibt es unzählige Möglichkeiten für ein persönliches Flow-Erlebnis. Es bleibt jedem selbst überlassen, ob er auf einer Tour mit vielen Höhenmetern, einem anstrengendem Trail oder bei einem rasanten Downhill sein Glück findet."

Infos

Im Delius Klasing Verlag ist das Buch "Flow - Warum Mountainbiken glücklich macht" von Harald Philipp und Simon Sirch erschienen. Zu beziehen ist es unter anderem auf der "Erlebnis Outdoor" und bei Röhm Buch in Sindelfingen unter www.roehm-buch.de

Mehr zu Harald Philipp unter www.summitride.com