Mythos am Arlberg

St. Anton ist stolz auf seine reiche Ski-Geschichte, hat aber auch in der Gegenwart jede Menge zu bieten

von Tim Schweiker

Dieser Ausblick versetzt Skifahrer und Snowboarder aus aller Welt in Ekstase: Vor dem tiefblauen Himmel schwebt eine Gondel der Vallugabahn vorbei, im Hintergrund reiht sich Gipfel an Gipfel. Und dann diese Abfahrt. Am 21. April stürzen sich hier 555 Skifahrer beim legendären Abfahrtsrennen „Der weiße Rausch“ in die Tiefe.

Wir lassen es gemütlicher angehen, es ist einfach viel zu schön, um vorbeizuhetzen. Die Fahrt über den Vallugagrat und das Schindlerkar hinunter Richtung Galzig gehört wohl zum Schönsten, was der Arlberg zu bieten hat. Und das ist bei 88 Liftanlagen und mehr als 300 Pistenkilometern so viel wie nirgendwo anders in Österreich.

Gut, wenn man da einen dabei hat, der sich wirklich auskennt. So wie Skilehrer Martin Rofner von der traditionsreichen Skischule Arlberg. Martin stammt aus St. Anton und ist der Sohn eines einheimischen Skilehrers und einer Engländerin, die sich einst in jenen Skilehrer und in St. Anton verliebt hat. „Das ist typisch St. Anton“, sagt Martin.

Als „Wiege des alpinen Skisports“ wird St. Anton gern bezeichnet. Es lohnt sich also ein Blick in die Ski-Geschichte. Die beginnt hier, als 1880 ein norwegischer Ingenieur mit zwei Brettern unter den Füßen zur Arbeitsstätte am Arlbergtunnel gleitet. Damals ist das kleine Dorf auf 1300 Meter Höhe weit davon entfernt, zu einem der beliebtesten Wintersportorte der Welt zu werden. Der harte Bergbauern-Alltag prägt das Leben.

Doch bald sind es die Arlberger selbst, die Ski-Geschichte schreiben. „Am 3. Januar 1901 marschieren sechs Freunde von St. Anton am Arlberg nach St. Christoph und werden am Ziel ihrer Skitour vom Hospizwirt Oswald Trojer und seiner Tochter Liesl empfangen“, erzählt uns beim Abendessen Wilma Himmelfreundpointner. Die gebürtige Oberösterreicherin lebt seit 37 Jahren in St. Anton, ist Vize-Direktorin des Tourismusverbands, einzige Frau im Vorstand des Ski-Clubs Arlberg – und wandelndes St.-Anton-Lexikon.

Die Rast der Herren im Arlberg Hospiz entwickelt sich übrigens zu einer fröhlichen Feier, die mit der Gründung des Ski-Clubs Arlberg endet. Der hat heute rund 8000 Mitglieder aus 61 Ländern. Drei Jahre später gibt es das „1. Allgemeine Skirennen“.

Und es geht weiter. Mit der Gründung der ersten Skischule setzt Hannes Schneider im Winter 1921/1922 einen Meilenstein der Ski-Geschichte. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keinen Skiort, in dem die Urlauber entsprechend ihrem Können in Gruppen eingeteilt und nach festgelegten Richtlinien unterrichtet wurden.

Noch dazu gilt Hannes Schneider als Skiheld, hatte er doch schon als 13-Jähriger sein erstes Rennen gewonnen und einen ganz eigenen Fahrstil geprägt. Schussfahrten legt er als Erster in der Hocke zurück, eine Haltung, die bis heute die schnellste und sicherste ist. Auch für die Kurven entwickelt er eine ganz neue Technik – er verlagerte zum Kurvenfahren sein Gewicht, um dann die Ski herumzureißen.

Hannes Schneider zieht immer mehr Gäste an, die seine Technik lernen wollten, der Fremdenverkehr wird angekurbelt, denn jetzt ist es „in“, den Winter in den Bergen und vor allem auf den Pisten zu verbringen.

Die Menschen wollen hoch hinaus, aber am liebsten nicht aus eigener Kraft. 1937 entsteht in St. Anton mit der Galzigbahn eine der ersten Gondeln im Alpenraum, sie transportiert 210 Personen pro Stunde.
Heute bildet St. Anton zusammen mit Lech, Zürs, Warth und Schröcken eine Urlaubsregion mit 88 Bergbahnen und Liften, 305 Kilometer markierten Skiabfahrten und 200 weiteren Kilometern für Varianten-Fahrer. St. Anton ist Mitglied bei „Best of the Alps“ – ein Zusammenschluss der 12 traditionsreichsten Alpenorte Europas.

Den Tarifverbund Ski Arlberg gibt es schon lange, bislang aber war die Verbindung zwischen dem Tiroler St. Anton und Zürs in Vorarlberg freilich nur über die Straße möglich. Mit dem Bau der Flexenbahn und des Auenfeldjets sind seit Beginn der Wintersaison 2016/17 alle Skiorte am Arlberg miteinander verbunden. So kann man morgens in St. Anton auf die Bretter steigen, später auf den sonnenverwöhnten Hängen von Lech und Zürs schwingen, zum Abstecher nach Warth und Schröcken abbiegen und spätnachmittags über die legendäre Strecke „Der „Weiße Rausch“ wieder hinunter nach St. Anton fahren.

Die Dimension des kompletten Skigebiets lässt sich auf dem „Run of Fame“ erleben: Die neue Skirunde führt mit 85 Kilometern und 18 000 Höhenmetern durch das gesamte Ski-Arlberg-Gebiet.
Und das Publikum ist und bleibt international. In und vor den Skihütten hört man hier fast genauso viel Englisch wie Deutsch. Das gilt für die Après-Ski-Legende Mooserwirt genauso wie für die Sennhütte.
Im Winter geht es dort bei Live-Musik auf der Sonnenterrasse rund, im Sommer kümmert sich Hüttenwirtin Tanja Senn um Wanderer und Mountainbiker. Und sie sorgt als Kräuter- und Natur-Expertin dafür, dass in der Sennhütte fast ausschließlich Regionales auf den Tisch kommt.

Im Sommer ist die Sennhütte (www.sennsationell.at)eine leicht erreichbare, gemütliche Hütte für den täglichen Wanderer, aber auch für Gäste von Hochzeiten, Jubiläumsfeiern, Schulveranstaltungen usw. Umgeben von Bergen und einer wunderschönen Landschaft lässt sich die frische Alpenluft von der Sonnenterrasse aus genießen. Rund um die Sennhütte liegt Senn‘s Wunder-Wander-Weg mit Alpenblumen-Weg, Kräuter-Weg, Wunder-Wasser, Kneippbecken, Baum-Haus, Natur-Spielplatz, WunderWald und dem Edelweiß-Weg mit den meisten Edelweißblüten der Welt.

Die Senn-Hütte ist auch ein beliebter Promi-Treffpunkt. „Der König von Jordanien, Prinz Andrew, Fußballtrainer wie Otmar Hitzfeld, Popstar Kim Wilde, internationale Tennisprofis wie Roger Federer und Novak Djokovic – die waren alle schon da“, erzählt Tanja Senn und serviert einen erlesenen Kräuterbrand: „Den gibt’s nur bei uns.“

Mit der alpinen Ski-WM hat St. Anton einmal mehr die große Bühne erobert und sich danach die neue Galzig-Bahn, gebaut 2006, und die Rendl-Bahn gegönnt, die 2009 näher an das Dorfzentrum heranrückte. Vorbei die Zeiten, in denen die Skifahrer ein ganzes Stück laufen mussten, um zur alten Rendl-Bahn zu kommen. „Das ist schon ein Riesenvorteil, dass die Hatscherei vorbei ist“ – auch Skilehrer Martin Rofner weiß die neue Rendl-Bahn zu schätzen.

Die Hauptrolle spielt aber nach wie vor die grandiose Bergwelt. „Mein Arbeitsplatz taugt mir“, sagt Martin, der auf rund 170 Skitage im Jahr kommt und trotzdem keine Langeweile kennt. Man kann ihn gut verstehen. Egal, ob man von der Ulmer Hütte aus hinunter nach St. Christoph fährt, im verschlafenen Dörfchen Stuben vorbeischaut oder vom Galzig aus den Blick ins stille Verwalltal genießt: Viel mehr als ein Treffpunkt des Jetset ist St. Anton einfach ein grandioser Skiort.

Infos

Die Anlagen im Skigebiet Arlberg laufen noch bis 28. April. Die Saison 2019/2020 beginnt am 29. November. Weitere Informationen gibt es unter www.stantonamarlberg.com

Die Hospiz Alm in St. Christoph beherbergt in ihrem Keller eine der bedeutendsten Bordeaux-Sammlungen der Welt. Auf rund 7,6 Millionen Euro Gesamtwert wird geschätzt, was hier lagert. Mehr unter www.arlberg1800resort.at