Für Sportler, Genießer und Naturliebhaber

Montafon: Mit dem Angebot "Berge Plus" hat die ganze Familie Spaß

von Tim Schweiker

Es muss ja nicht gleich der Piz Buin sein. Sicher gehört der mit 3312 Metern höchste Berg Vorarlbergs, dessen Erstbesteigung sich am 14. Juli 2015 zum 150. Mal gejährt hat, zu den Stars im Montafon (die SZ/BZ hat ausführlich berichtet). Und zumindest mit einer Fahrt über die Silvretta Hochalpenstraße zur Bielerhöhe und einem Spaziergang am Silvretta-Stausee gehört er zum Montafoner Pflichtprogramm.

Wir lassen es am ersten Urlaubstag erst einmal gemütlich angehen. Wanderführerin Hedi Blum holt uns am Gasthaus Reutehorn oberhalb von St. Gallenkirch ab und spaziert mit uns zum nahen Maisäß Rüti. Auf dem Weg dahin erzählt sie uns, was man beispielsweise alles aus Brennnessel (nämlich nicht nur Tee) oder Blutwurzel (nämlich nicht nur Schnaps) machen kann, um gesund zu werden oder zu bleiben.

Für die blühende Vielfalt auf den Wiesen sorgen auf dem Maisäß Rüti keine Kühe, sondern die Montafoner Steinschafe der beiden Nebenerwerbslandwirte Peter Kasper und Martin Mathies. Die kleinen, kompakten Steinschafe kamen in den Achtziger Jahren nur noch vereinzelt im hintersten Montafon vor und werden seit 1989 wieder gezielt gezüchtet.

Die Schafe wurden früher über den Sommer auf den Hochalpen gehalten und im Winter nur mit Magerheu gefüttert. „Das hat sie besonders widerstandsfähig und robust gemacht“, sagt Hedi Blum. Damit ist das Steinschaf prima geeignet, extensiv genutzte Flächen offenzuhalten und vor Verbuschung zu schützen: „die idealen Landschaftspfleger.“

Vom Maisäß Rüti aus gehen wir nach dem Besuch bei den Steinschafen an uralten Trockensteinmauern entlang ein Stückchen auf der Via Valtellina. Heute eine mehrtägige Wanderroute, war die Strecke aus der Lombardei über Davos bis nach Schruns eine wichtige Wirtschaftsverbindung, auf der Wein aus dem Veltlin ins Montafon und von dort aus bis an den Hof nach Wien gelangte. Einen Abstecher wert ist die 300 Jahre alte Rütikapelle, in der ein Votivbild an ein tragisches Lawinenunglück im Jahr 1817 erinnert.

Tags darauf geht’s aufs Rad. Genauer gesagt auf die Mountainbikes. Eine familientaugliche 25-Kilometer-Runde rund um Gaschurn steht auf dem Programm. Unser Guide Simon Wohlgenannt macht uns an der Talstation der Versettla-Bahn gleich mal Mut: „Ihr werdet schon noch ins Schwitzen kommen.“

Erst einmal geht es aber bergab. Auf einem schönen, flotten Single-Trail entlang der Ill genießen wir den Fahrtwind – und sehnen uns eine halbe Stunde später nach so einem kühlenden Lüftchen. Beim Explorer-Hotel geht es steil rauf zu den letzten Höfen der Ortschaft und weiter bis zum Abenteuer-Spielplatz im wild-romantischen Valschavieltal. Simon, der Spaßvogel, schaut uns an uns fragt: „Will niemand spielen?“ Wir müssen erst mal verschnaufen. Also gut: Wir älteren Herrschaften müssen erst einmal verschnaufen, die Jungen drängt’s schon zur Abfahrt zurück nach Gaschurn. Die Abfahrt entschädigt für den, nun ja, leicht erhöhten Puls bergauf. „Hat’s Spaß gemacht?“, fragt Simon und die versammelte Jugend ist sich einig, sofort noch eine Runde dranzuhängen. Unsereins schaut eher, ob nicht ein Biergarten in der Nähe wäre.

Stichwort bergauf: Das geht ja beim Klettern auch ziemlich flott, also probieren wir am nächsten Morgen mal aus, wie wir uns im Klettersteig anstellen. Durch die Röbischlucht oberhalb von Gargellen soll’s gehen. Nachdem wir das Klettersteig-Set angelegt und den Helm aufgesetzt haben, erklären die Bergführer Angelika Haspl und Hansjörg Kasper, wie wir mit den Karabinern umgehen sollen. „Niemals beide gleichzeitig vom Stahlseil wegnehmen, Ihr müsst immer gesichert sein. Alles andere ist schlecht für unsere Nerven“, sagt Hansjörg. Und für unsere Gesundheit. Das sagt er nicht, aber sein Gesicht lässt keinen Zweifel daran zu, dass er es ernst meint.

Und ich zumindest nehme ihn ernst. Schließlich ist meine letzte Klettersteig-Erfahrung gute 15 Jahre alt. Mittlerweile bin ich nicht mehr ganz schwindelfrei und so grummelt mir beim Zustieg bis zur Beginn der Schlucht ein bisschen der Magen.

Aber alle Aufregung weicht nach den ersten Metern der Begeisterung: Die Kletterei ist wirklich nicht schwierig, bewegt sich durchweg in den problemlosen Bereichen B und C, der Umgang mit den Karabinern überfordert mich auch nicht. Und vor allem ist die Röbischlucht ein zauberhaftes Stück Natur. Der Steig schlängelt sich mal auf dieser, mal auf jener Seite des Bachs durch die enge Schlucht. Die schönste Stelle kommt ganz zum Schluss: Senkrecht klettet man über Stahltritte direkt neben dem Wasserfall. Ein Traum. Hansjörg drückt es profaner aus: „Scho lässig, odr?“

Ein paar Minuten wandern wir nach dem Ausstieg aus dem Steig noch durch den Wald und über Wiesen, dann erwartet die Kletterer auf der urigen Alpe Rongg die verdiente Erfrischung. „Ein schönes Plätzle“, sagt Angelika Haspl und amüsiert sich mit den Kindern über das putzige Eselbaby, das seit ein paar Wochen zur Belegschaft der Alpe gehört.

Wer gemütliche Alpen ohne touristischen Schnickschnack mag, der ist im Montafon ohnehin richtig. Das will uns Evi Essig beweisen, mit der wir in Gaschurn verabredet sind. Evi stammt aus einer Gaschurner Bauernfamilie und ist geprüfte Alpführerin. Mit ihr wandern wir von der Mittelstation der Versettla-Bahn hinein ins stille Garneratal, in dem Regisseur Joseph Vilsmaier 1994 etliche Szenen des Films „Schlafes Bruder“ gedreht hat. Bei dem Trubel der Dreharbeiten werden damals die meisten Murmeltiere in ihrem Bau verschwunden sein. Vor uns scheinen sie keine Angst zu haben und sind auf beiden Seiten des Wegs immer wieder zu sehen.

Nach zwei Stunden kommen wir an auf der Alpe Garnera auf 1650 Meter Höhe, schauen auf die Tübinger Hütte und den Felsgipfel der Plattenspitze, direkt an der Schweizer Grenze. Aus der Ferne sind die Glocken des Viehs zu hören, hinter dem Stall grasen ein paar Kälber.

Dabei ist diese Alpidylle keine Selbstverständlichkeit. „15 Jahre lang wurden im Garnera keine Milchprodukte mehr produziert, die Milch wurde ins Tal zur Molkerei geliefert“, erzählt Christian Kartnig. Seit 2009 bringt er zusammen mit seiner Frau Veronika die Sennkuchi wieder auf Vordermann und produziert mit modernen Geräten nicht nur den Montafoner „Sura  Kees“ in traditioneller Herstellung, Alpbutter oder Joghurt, sondern auch neue Produkte wie den „Saladiner“ – ein in Salzlake gereifter Weichkäse.

Mit der Bewirtschaftung der Alpe Garnera tragen Vroni und Christian, die außerhalb ihres zweieinhalb Monate im Jahr dauernden Alplebens als EDV-Fachmann und Grafikerin arbeiten, dazu bei, dass die Kulturlandschaft des Garneratals erhalten bleibt. Keine leichte Aufgabe, sagt Christian: „Es gibt immer weniger Vieh, das die Weiden nutzt und weniger Personen, die bei den notwendigen Arbeiten anpacken.“ Weshalb die Kartnigs versuchen, mit dem von Bund, Land und EU geförderten „Naturprojekt Garneratal“ ein Konzept für die künftige Nutzung und Pflege des Tals zu entwickeln.

„Es ist ganz toll, was die beiden hier leisten“, sagt Evi Essig, die uns auf dem Rückweg nach Gaschurn den 1400 Meter hoch gelegenen Maisäß Ganeu zeigt. Im Gegensatz zu vielen anderen Maisäßen, die mittlerweile nur noch als Ferien- oder Wochenendsiedlung dienen, hat Ganeu noch seinen Platz in der traditionellen Dreistufenwirtschaft. „Der Maisäß ist die Zwischenstation für die Tiere von Ende Mai bis Ende Juni, bevor die Kühe zur Melkalpe Garnera und das Jungvieh zur Galtalpe weiterziehen“, sagt Evi Essig, die zusammen mit ihrem Mann eine der Maisäßhütten aufwändig renoviert hat und selbst noch einige Kühe hält, die sie im Frühjahr auf den Maisäß bringt.

Die Maisäße gelten als Erfindung der Walser, die im späten Mittelalter aus dem Wallis in einzelne höher liegende Täler Vorarlbergs und Westtirols eingewandert sind. So auch ins Montafon, das den Walsern nicht nur die rätoromanischen Ortsnamen verdankt, sondern vermutlich auch die Dreistufenwirtschaft, bestehend aus dem Hof im Tal, Maisäß und Alpe.

Der Maisäß Ganeu ist in diesem Zusammenhang eine echte Sensation, wie das Vorarlberger Architektur-Institut bestätigt: „Von elf Gründungsbauten lassen sich zwei um die Mitte und drei gegen Ende des 16. Jahrhunderts fassen. Unter ihnen befindet sich eine der in ihrer Gesamt-substanz ältesten Doppelscheunen des Montafon aus dem Jahr 1552.“

Nein, es muss wirklich nicht gleich der Piz Buin sein. Im Montafon gibt es noch viel mehr zu entdecken. Menschen wie Hedi oder Evi, Vroni und Christian, gehören auf jeden Fall dazu.

 

 

 

 

 

Infos

Das Montafon, 39 Kilometer lang und gesäumt von Verwall, Rätikon und Silvretta, ist über Bregenz und Feldkirch in knapp drei Stunden erreichbar.

Berge Plus: Noch bis 24. Oktober 2015 und dann wieder ab Mai 2016 gibt es unter diesem Stichwort im Montafon täglich wechselnde Angebote in den Bereichen Wandern, (E-)Mountainbiken und Klettern, im Sommer kommen Angebote für Kinder dazu. Bei vielen Gastgebern ist das Berge-Plus-Angebot inklusive.

www.montafon.at

www.silvretta-bielerhoehe.at

www.montafon-bergfuehrer.at

www.montafon-guides.at

www.garnera.at