"Das wird dein Skifahren verändern"

Ausnahme-Freeriderin Lorraine Huber über den mentalen Faktor bei Profis und Amateuren

von Eliane Drömer

Lorraine Huber ist abseits der Pisten eine der besten Skifahrerinnen der Welt. Bei der Freeride Worldtour will sie diese Saison wieder voll angreifen. Neben dem skifahrerischen Können ist auf diesem Niveau der mentale Faktor entscheidend. Im Interview mit Abenteuer Alpen verrät die Vorarlbergerin aus Lech am Arlberg wie sie mit dem Druck umgeht und gibt wertvolle Tipps, wie Otto-Normal-Freerider schwierige Situationen im Gelände bewältigen können.

Abenteuer-Alpen-Mitarbeiterin Eliane Drömer sprach am Arlberg mit der 35-jährigen Ausnahme-Athletin.

Warum ist es so schwierig, im Freeriden kontinuierlich starke Leistung zu zeigen?

Lorraine Huber (Bild: Müller): "Die mentale Stärke spielt beim Freeriden eine sehr große Rolle. Beim Freeriden kann der Run, im Gegensatz zu Bewerben in Halfpipe, Slopestyle und im alpinen Skirennlauf, vor dem Wettkampf nicht geübt werden. Du kannst dir nie 100 Prozent sicher sein, was genau auf dich zukommt. Ebenfalls gibt es bei den Freeride-Bewerben nur eine Abfahrt pro Contest und in der Freeride World Tour gibt es dann nur fünf Bewerbe pro Saison, für den vierten und fünften Stopp muss man sich erst in der laufenden Saison qualifizieren, also ist der Leistungsdruck hoch."

Wie geht man mit dem Druck um?

Lorraine Huber: "Ich hatte ein Schlüsselerlebnis bei dem Qualifikations-Contest in La Clusaz. Im Vorjahr war ich aus der Freeride World Tour geflogen, weil ich zu oft gestürzt bin. Ich muss ehrlich sagen, da wollte ich schon aufgeben. Und dann habe ich gedacht, einmal probiere ich es noch, fahre den Qualifier, versuche mich zu qualifizieren für die World Tour, wenn es dann nicht klappt, dann höre ich auf mit dem Contestfahren.

Und dann kam dieser erste Contest der Saison in La Clusaz. Es gab unglaublich viel Neuschnee und wir hatten keine Besichtigung machen können, weil die Sicht so schlecht war. Ich bin das Face zuvor auch noch nicht gefahren. Wir haben einfach ein Foto von dem Hang bekommen und dazu wurde uns gesagt, dass wir uns eigentlich nicht danach richten könnten, denn über Nacht würde es 50 Zentimeter Neuschnee geben. Am nächsten Tag hatte ich zehn Minuten Zeit, mir von gegenüber eine Line auszusuchen, was absolut lächerlich ist. Also habe ich mir eine ganz einfache Linie ausgesucht mit ganz markanten Anhaltspunkten. Ich wusste, ich kann mich nicht verirren und dachte mir: Ich probier das jetzt einfach aus. Ich hatte überhaupt keine Erwartungen, keinen Druck und war kaum nervös. Ich bin gestartet, hab mein Ding durchgezogen und kam gut unten an. Ich war noch ein paar Minuten im Zielraum, habe andere Fahrer getroffen und fuhr mit ihnen den Rest des Tages Ski. An den Contest habe ich gar nicht mehr gedacht. Nachmittags rief meine Schwester an und sagte, hey stimmt das? Du hast gewonnen oder, es steht im Netz! Ich hatte es noch nicht erfahren."

Man sollte die eigenen Erwartungen also möglichst weit runterschrauben?

Lorraine Huber: "Also ich möchte nicht sagen, dass man am Start so das komplette "Wurschtheitsgefühl" haben sollte, aber es war gut, dass ich zum ersten Mal keinen Druck hatte. Das war für mich ein wichtiges Erlebnis. Und natürlich war es psychologisch ideal, wenn man gleich beim ersten Contest der Saison gewinnt."

Welche Wirkung hat mentales Training?

Lorraine Huber: "Ich habe mehr Verständnis dafür bekommen, in welchem Spannungszustand ich am Start sein muss. Denn es gibt für jeden einen optimalen Erregungszustand vor einem Wettkampf: Ist man zu wenig oder zu viel erregt kann man seine Höchstleistung nicht abrufen. Der Spannungszustand sieht aus wie eine Normkurve, wo man sich in einer gewissen Bandbreite der Erregung bewegen sollte. Es gibt da eine Vielzahl an Techniken um sich unter Stress wieder selbst regulieren zu können und dadurch handlungsfähig zu bleiben."

Wie kann der Durchschnitts-Freerider eine Schlüsselstelle möglichst angstfrei und sicher meistern?

Lorraine Huber: "Du kommst zum Beispiel zu einem schwierigen Hang, schaust runter und bekommst Angst. Was hilfreich sein kann: du bleibst oben stehen und schaust dir die Abfahrt in Ruhe an. Du suchst dir deine Linie und entscheidest, wo du den ersten Schwung, den zweiten Schwung, den dritten Schwung ansetzen möchtest, ganz konkret. Und du versuchst generell in Deiner Wahrnehmung die objektive von der subjektiven Angst getrennt zu halten.

Die subjektive ist die Angst, die wir unbegründet mit uns tragen, zum Beispiel Angst vor Spinnen. Wenn man im Hang steht und Angst empfindet, kann man etwas aus sich herausgehen, in die so genannte Adlerperspektive und kann sich das von oben anschauen. Du siehst: Der Hang ist da, du stehst da, und dann musst du überlegen  ist jetzt diese Angst begründet oder nicht? Du stellst fest: Eigentlich ist sie nicht begründet, da kann mir nicht viel passieren. Da ist vielleicht eine Eisplatte die ich umfahren kann, da ist ein Fels wo ich aufpassen muss diese Linie fahre ich jetzt. Und dann habe ich diese Linie ganz fest im Kopf und fahre sie dann auch, wirklich sehr konsequent.

Was nicht funktioniert ist, wenn du unsicher bist und fährst irgendwie in diesen Hang hinein. Du eierst herum, ohne gezieltes Fahren und traversierst viel zu lang. Der ganze Kantendruck geht verloren und du tust dir schwer beim nächsten Schwung. Nein, du machst das so: du fährst Deinen Schwung, schöne Steuerphase, nächster Schwung, ganz konsequent. Diese Einstellung und dieses Vorhaben, das ändert alles! Das wird Dein Skifahren komplett verändern."

Infos

Mehr über Lorraine Huber unter www.lorrainehuber.com

Buchtipp:
Das Freeride Überlebenshandbuch -
better be ready when the shit goes down
von Melanie Schönthier
& Stephan Bernhard
ISBN-13: 978-3000432552
16,95 Euro
www.freeride-survival-guide.de

Daraus noch ein simpler Trick um zuviele Gedanken und unsicheres Fahren in Extremsituationen zu verhindern: Die linke Faust ballen (gilt für Rechtshänder), um die rechte Gehirnhälfte zu aktivieren, die für alle automatisierten Bewegungsabläufe zuständig ist. Und natürlich atmen, tief ein- und ausatmen, was den Herzschlag verlangsamt und beruhigt.