Wo das Herz der Alpen schlägt

Das Tessin bietet hohe Gipfel, mediterranes Klima und faszinierende MTB-Routen

von Steffen Müller

Der Gotthard trennt den Süden wie kaum ein anderes Gebirgsmassiv vom rauen Norden. Auf der Sonnenseite des Gotthardpasses liegt das Tessin und lockt an den Seen mit mildem Klima, mediterranem Flair und Dolce Vita – für Genießer und Erholungsuchende kommt die Region dem Paradies schon ziemlich nah. Das Tessin bietet Palmen und Gletscher, entspannte Trails und fordernde Touren.
Mountainbiker finden ihr Glück beileibe nicht nur in den höheren Lagen. Allerdings sind die besonders spektakulär – und speziell in der Hochsaison auch weniger frequentiert als die Wanderwege am Lago Maggiore oder am Luganer See. Vor allem aber sind sie extrem abwechslungsreich.

Wir stellen völlig unterschiedliche Touren mit ihren Besonderheiten vor – die eine (durch das Verzascatal) bietet Flow für die ganze Familie, die andere ist ideal für konditionsstarke Biker, die gerne bis in Hochgebirgsregionen vordringen (GottardoBike) und die dritte bietet grandiose Panoramen zwischen wunderbaren Hochalmen (Alpi Bedretto Bike). Dabei ist das nur eine verschwindend kleine Auswahl der fast unbegrenzten Möglichkeiten in dem Kanton, der auf wenig Fläche zwischen Mittelmeer-Flair und ewigem Eis praktisch alles zu bieten hat.  

Das Verzascatal – Spaß für die ganze Familie

Das Verzascatal liegt im Norden des Lago Maggiore und ist schon fast unwirklich idyllisch. Steile Hänge, wilde Wasserfälle und die Rustici, die für die Region typischen Steinhäuser, sorgen für eine ganz besondere Kulisse. Der Trail durch das wilde Tal ist ganz entspannt und bietet auf der 9 Kilometer langen Strecke zwischen Brione Verzasca und dem Talschluss in Sonogno kaum Höhenunterschied (240 Meter) und praktisch keine technischen Schwierigkeiten.
Spaß macht die Strecke trotzdem und sie ist ideal für die ganze Familie. Nicht zuletzt deshalb, weil das Tal landschaftlich eine Menge Abwechslung und wunderbare Plätze für eine kurze Rast bietet. Wer vom Zielort Sonogno noch 300 Meter Richtung Westen radelt, sollte unbedingt in der Grotto Efra (www.grottoefra.ch) einkehren. Hier gibt es wunderbare Tessiner Spezialitäten in rustikaler Atmosphäre. Übrigens gibt es für Wohnmobilisten in Sonogno und Brione schön gelegene Stellplätze. Die Gebühren zahlt man einfach am Parkscheinautomaten.
Start: Brione Verzasca
Länge der Tour: 9 (hin und zurück 18) Kilometer
Aufstieg: 240 (300) Höhenmeter
Abfahrt: 60 (300) Höhenmeter
Technik: leicht (S0/S1)

Alpi Bedretto Bike – von Hochalm zu Hochalm

Diese Tour führt oberhalb von Airolo durch die traumhafte Landschaft des Val Bedretto. Wer gut in Form ist, startet direkt in Airolo (1150 Meter) und nimmt die kleine, steile Straße bis zum eigentlichen Startpunkt an der Alpe Pesciüm (1745 Meter), wer sich die 600 Höhenmeter sparen will, kann in Airolo gemütlich in die Seilbahn steigen und seine Kräfte für die eigentliche Tour sparen. Auf der warten nämliche traumhafte Aussichten, abwechslungsreiche Trails und mehrere Hochalmen. Auf dem Höhenweg wechseln sich Abfahrten und Aufstiege, Single-Trails und Wiesenpfade, Weiden und lichte Lärchenwälder ab. Über 15 spannende Kilometer beeindruckt die Strecke abwechselnd mit dem Panorama – inklusive Blick auf das Gotthard-Massiv. Bei Ronco radelt man auf die Straße, die zurück nach Airolo führt. Optimaler Ausgangspunkt und eine schöne Unterkunft mit liebevoll eingerichteten Zimmern und gutem Essen ist das Hotel Stella Alpina in Ronco (www.stellaalpina.com).
Start: Airolo Pesciüm
Länge der Tour: 24 (28 ab Airolo Tal) Kilometer
Aufstieg: 300 (850) Höhenmeter
Abstieg: 850 Höhenmeter
Technik: mittel (S1 bis S2)

Gottardo Bike – Großer Sport im Herz der Alpen

Die Gottardo-Bike-Route ist eine Tour in 3 Etappen von Andermatt im Norden über den Gotthardpass, die einsame Piora-Hochebene mit ihrer unglaublichen Artenvielfalt und das Val Blenio. Sowohl technisch wie auch konditionell sollte man für diese Unternehmung richtig fit sein – und wird für die Mühen mit beeindruckenden Trails, Bergtälern und kulinarischen Highlights belohnt. Dazu gibt es knackige Anstiege, die auch leicht masochistische Neigungen voll befriedigen sollten. Über Kalorien beim Abendessen muss man sich als durchschnittlicher Mittelgebirgsbiker aus dem deutschen Südwesten jedenfalls keine Gedanken machen.
Einer dieser Anstiege führt auf der 2. Etappe von Airolo (1150 Meter) auf die Piora-Hochebene. Hier warten 2 Gebirgsseen auf die Biker, die gerade am Stück rund 800 Höhenmeter hinter sich gebracht haben – und das Ristorante Canvetto Cadagno. Hier kann man sich mit dem legendären Piora-Käse und dem wohl besten luftgetrockneten Schinken der Schweiz stärken – ein Gedicht. Weiter geht es über den Passo del Sole und direkt über den Gotthardtunnel, der tief unten im Berg verläuft, in Richtung Olivone. Insgesamt gilt es auf dieser Etappe 1600 Meter im Aufstieg und 1800 Meter in der Abfahrt zu bewältigen. Man sollte also früh aufstehen. Mit der Standseilbahn von Piotta nach Piora kann man sich immerhin gut 600 Höhenmeter sparen.
Start: Andermatt/Airolo/Olivone – Ziel: Biasca
Länge der Tour: 103 (1. Etappe 32, 2. Etappe 39, 3. Etappe 35) Kilometer
Aufstieg: 4000 (1100/1600/1300) Höhenmeter
Abstieg: 5100 (1400/1800/1900) Höhenmeter
Technik: mittel bis schwer (S2 bis S3)

Tessin zum Anbeißen

Auf der Piora-Hochebene kommen Feinschmecker voll auf ihre Kosten

Genau auf der Grenze zwischen Nord- und Südalpen, hoch über dem Gotthardtunnel liegt die Piora-Hochebene mit dem Lago Ritom und dem Lago Cadagno. Hier gibt es aufgrund der besonderen geologischen und klimatischen Bedingungen eine außergewöhnliche Artenvielfalt – und ein Zentrum für alpine Biologie. Die Vielfalt kommt nicht zuletzt der Käseproduktion zugute. Auf den Weiden in diesem ganz besonderen Hochtal entsteht die Milch für den berühmten Piora-Käse. „Es gibt hier eine unglaubliche Vielfalt an Kräutern“, sagt der 87-jährige Adriano Dolfini von der Alp Piora, der schon unzählige Sommer auf der Alp Piora verbracht hat.
Saftige Kräuter
Diese Kräuter und die besondere Lagerung auf knapp 2000 Meter Höhe machen den Piora-Käse zu einem der besten der Welt. Nur rund 3000 Laibe werden jährlich produziert. Es sind rund 250 Milchkühe, die auf den 3500 Hektar Weiden im Piora-Tal den Sommer verbringen. Sie weiden zwischen 1964 bis 2127 Meter über dem Meer. 2 Käser, 3 Sennen, 1 Köchin und 2 Stallburschen kümmern sich direkt um das edle Produkt. Heraus komm ein würziger, sehr angenehm rund schmeckender Käse mit einem wunderbaren Aroma. Dafür verantwortlich sind unter anderem die  Alpen-Mutterwurz (Ligusticum  mutellina), der  Gold-Pippau  (Crepis aurea) und der Westalpen-Klee (Trifolium alpinum). „Die Kräuter sind enorm wichtig. Doch auch die Lagerung macht den Käse zu dem, was er ist“, sagt Filippo Bronner. Er bewirtschaftet unter anderem die Hütte Canvetto Cadagno und führt als Lebensmittelexperte Besucher durch die Käserei.
Meersalz trifft Bergluft
Bronner hat aber noch mit einer anderen Spezialität zu tun – mit luftgetrocknetem Rohschinken von Rapelli. Der stammt ausschließlich von Schweizer Schweinen, wird von Hand mit Meersalz eingerieben und zunächst im Tal 10 Monate gelagert. Ihren geschmacklichen Schliff erhalten sie von Mai bis Oktober in Piora. Käse und Schinken sind vorzüglich. Am besten schmecken sie natürlich bei einer Rast auf der Piora-Ebene – und wer den langen Anstieg mit dem Bike bewältigt hat, darf sich dazu natürlich auch guten Gewissens ein Gläschen Merlot aus dem Tessin gönnen.  

Infos

Unterkünfte und Tipps zum Mountainbiken und Touren im Tessin unter www.ticino.ch – hier gibt es auch alle Infos zum attraktiven Ticino Ticket, mit dem man Busse, Bahnen und Lifte nach Herzenslust nutzen kann.
Anreise über den Gotthardpass mit dem Auto oder natürlich mit der Bahn ins Bahnland Schweiz –
www.sbb.ch  
Geführte Mountainbiketouren
bietet unter anderem
www.bikesteiger.ch an
Weitere Links:
www.canvettocadagno.ch
www.schweizmobil.ch

Mehr zum Zentrum für alpine
Biologie unter www.cadagno.ch
Mehr zur Region und zum Käse unter www.ritom.ch/home
Mehr zum Schinken unter
www.ticinella.com